Robert Eduard Prutz

1816 – 1872

Hab ich geliebt? Hab ich das Glück empfunden,

Das wie ein Märchen durch den Sinn mir schwebt?

Hat Herz am Herzen glühend heiß gebebt,

In süßem Kuß sich Mund dem Mund verbunden?

 

Kaum weiß ich’s mehr! die Wonne jener Stunden –

Wie die Rakete sich gen Himmel hebt,

Einmal nur flammt, dann sich in Nacht begräbt,

So ist auch sie begraben und verschwunden.

 

Und dennoch, horch! was flüstert mir im Herzen

Von der entschwundnen, selig süßen Pein,

Von meinem Glück, dem meinen und dem ihren?

 

Ach! meine Lust ahn ich aus meinen Schmerzen!

So ganz verarmt, so elend ganz zu sein,

Mußt’ ich unsäglich großes Glück verlieren.

 

 

 

Robert Eduard Prutz                            Der Verlorenen

1816 – 1872

 

I.

 

Von prächt’gen Stästen geht verjährte Kunde,

Die einst die Wellen über Nacht verschlangwen;

Die Gassen sieht man noch, die breiten, langen,

Sieht Schloß und Tempel schimmern aus dem Grunde.

 

Auch war’s dem Schiffer oft in nächt’ger Stunde,

Als ob die Glocken aus der Tiefe klangen,

Als ob melodisch ferne Stimmen sangen

Geheime Lieder aus geheimem Munde.

 

Ach, Glück und Liebe sind die Herrlichkeiten,

Mein Herz das Meer, darin sie untergingen,

Kein Taucher bringt, was dort versank, mir wieder.

 

Ich träum’ und singe von vergang’nen Zeiten,

Der Schiffer weiß nicht, was die Glocken klingen,

Und Niemand, ach! verstehet meine Lieder.

 

 

II.

 

Papyrusrollen, Schriften alter Zeiten,

Hat man gegraben aus Pompeji’s Grund,

Von Purpur einst und blankem Golde bunt,

Jetzt aschenfarb, mühselig auszubreiten.

 

Vergebens netzt man die erlosch’nen Seiten,

Mit Kunst zu lösen ihren todten Mund;

Sie bleiben stumm, kein Zeugniß wird uns kund

Von jener Vorzeit stolzen Herrlichkeiten.

 

Ein Blatt nur mein! ein einziges, zerknittert,

Unscheinbar, gelb, ein schlechtes Blatt Papier;

Sie aber hat, sie selbst, es mir geschrieben!

 

Und wenn auf’s Blatt die Thräne niederzittert,

Wird lesbar wieder jede Silbe mir

Und wieder blüht mein Glück mir und ihr Lieben.

 

 

III.

 

Ob ich dir zürne? – Zürnt man auch dem Mai,

Dem köstlichen, da alle Quellen sprangen,

Aus jedem Laub die muntern Vcögel sangen,

Daß er uns, ach! zu schnell entschwunden sei?

 

So warst auch du, so hell und wolkenfrei,

In deiner Schönheit maienhaften Prangen

An meinem Himmel einst mir aufgegangen;

Wie zürnt’ ich jetzt? Der Frühling ist vorbei.

 

Und wie der Hirt, wenn Winterstürme wüthen,

Sich Lieder reimt von der vergang’nen Lust

Und fröhlich hofft auf neue Blüthenzeiten:

 

So will auch ich das Angedenken hüten

An jenen Frühling in getreuer Brust: -

Nur hoffen kann ich freilich keinen zweiten.

 

 

 

Robert Eduard Prutz

1816 – 1872

Du sprichst so gern von deiner Kindheit Tagen,

Von fernen Zeiten, von entleg’nem Land,

Eh’ dich mein Auge, dich mein Herz gekannt –

Ich hör es stumm mit innerlichem Zagen.

 

Was war ich damals? Herz, ich kann’s nicht sagen!

Was wär’ ich jetzt, aus deinem Blick verbannt?

Ein kranker Baum in winterlichem Land,

Der Blätter nie, noch Früchte würde tragen.

 

Laß einen Schleier jene Zeit bedecken!

Sei stumm sogar und sieh’ mich einzig an,

Und lass’ von Blicken schwelgerisch mich zehren.

 

Denn hör’ ich dich, fühl’ ich mein Herz erschrecken,

Als ob ein Tag noch einmal kommen kann,

Wo wir, wie eh’mals, wieder fremd uns wären.

 

 

 

 

 

 

Robert Eduard Prutz                            Zur Ruh’!

1816 – 1872

Zur Ruh’, verjährter Schmerz! was willst du noch?

Was aus des Grabes Frieden stört dich auf?

Du schleichst so still, wie Nebel steigt’s herauf

Und wie von Geisterhänden mahnt’s: poch poch!

 

Was willst du heut? Dacht’ ich seit Langem doch,

Du wärst versenkt, wie tief! Ein Kreuz darauf

Und frische Rosen auf den goldnen Knauf –

Ich kenn’ ja doch den Wurm, der drüber kroch!

 

Es ist nicht leicht, mit Wangen frisch und roth

Ein wundes Herz in stillem Busen tragen,

Und halb zu leben mehr als ganzer Tod.

 

Und doch, was thuts? Es ist so Menschenloos

Und endlich winkt ja doch nach Sturm und Plagen

Der süße Schlummer in der Erde Schooß.

 

 

 

 

 

Robert Eduard Prutz              In kranker Zeit

1816 – 1872

 

1.

 

Genuß, so klagen sie, ist die Parole

Der Zeit, die nicht mehr lieben kann, noch hassen;

Von allen Göttern lange schon verlassen,

Erhob sie en Genuß sich zum Idole.

 

Ja, thät sie’s nur! Für Scapulier und Stole

Mag der Entbehrung herbe Lehre passen;

Genießen soll der Mensch – so möcht ich’s fassen –

Doch nie genieß’ er sich allein zum Wohle!

 

Gleichwie der Sonne goldne Strahlen fließen,

Sich selbst zur Lust, der Erde zum Entzücken,

So sei der Mensch, um menschlich zu genießen.

 

Die jungen Rosen schau’, wie sie sich schmücken!

Aus dem Genuß soll andrer Wohlfahrt sprießen;

Daß du beglückt dich fühlest, lern’ beglücken!

 

 

2.

 

Wir leben im Zeitalter des Realen,

Das, sagt ihr, muß für manches uns entschäd’gen;

Es will die Welt auf einmal sich entled’gen

Von allen unfruchtbaren Idealen.

 

Nicht länger woll’n wir mit Phantomen prahlen;

Wir sind der Götter müd’, davon sie pred’gen,

Der zürnenden sowohl als auch der gnäg’gen;

Wer Schulden macht, der soll sie auch bezahlen. –

 

O thöricht Volk, zu lenken an der Leine

Mit einem Wort! Real! Es macht mich lachen:

Was ihr real nennt, ist nur das Gemeine.

 

Zwar ohne Holz läßt sich kein Feu’r entfachen;

Doch wächst die Blume nur im Sonnenscheine,

Dem himmlischen, den nie ein Mensch kann machen.

 

 

3.

 

Phantasten hör’ ich rings und Thoren schelten,

Die noch am Traumbild beßrer Tage hangen,

Trotz aller Täuschungen, die uns gleich Schlangen

Mit eklem Gift der Zukunft Wein vergällten.

 

Und dennoch laß nicht völlig dich erkälten,

Heißblütig Herz! Sieh dort die Sterne prangen:

Du kannst sie auch dir nicht herunterlangen,

Und dennoch weißt und glaubst du, daß es Welten.

 

Nacht folgt dem Tage, Regenwolken nässen

Die junge Saat, Gewitterstürme wehen;

Die Sonne aber wandelt fort indessen.

 

So kann es auch den Menschen wohl geschehen,

Daß sie der wahrheit ein’ge Zeit vergessen;

Doch bleibt sie selbst nicht minder drum bestehen.